Die Presse

Musikverein: Im Himmel eine einzige Geige

Demut des großen Virtuosen: Nikolaj Znaider spielte in Wien.

Für viele ist der 32-Jährige schon heute der beste Geiger der Welt. Ein Menuhin, ein Kremer der neuen Generation. Wo auch immer Nikolaj Znaider die Bühne betritt, wird er mit Jubel empfangen. Und er wirkt auch wie ein Star: das siegessichere Grinsen, mit dem er sein Publikum grüßt. Die Statur eines American-Football-Spielers, der sich für eine Pokalverleihung In einen Anzug zwängen musste. Der jugendliche Schwung, mit dem er den Bogen hebt.

Doch kaum beginnt er zu spielen, wird alles anders als gedacht. Da ist nichts mehr sportlich, hemdsärmelig, vordergründig virtuos. Znaiders technische Perfektion ist nur ein Mittel. Ein Medium, um der Musik — vor allem im Piano, im Pianissimo — ihre tiefsten Geheimnisse abzulauschen. Mit großer Ernsthaftigkeit sucht er nach dem „Weg von dem, was man metaphysisch in sich hört, zu dem, was man wirklich von sich hören lassen kann“.

Auf diesem Weg begleitet wurde Znaider am Montag vom Pianisten Saleem Abboud Ashkar, auch er erst 32. Der fügte sich, wenn auch souverän, in diese Rolle des Begleiters — nicht nur bei Schönberg, der es selbst gefordert hatte, auch bei den Sonaten von Beethoven und Schumann.

Znaider hatte sich als Neunzehnjähriger, unzufrieden mit seinem Spiel und dem allzu glatten Verlauf seiner Karriere, dem großen Lehrer Boris Kuschnir in Wien anvertraut, der auch Julian Rachlin unterrichtet hatte. Bei ihm begann er noch einmal von vorne: Drei Wochen lang musste er die leeren Saiten streichen, ein Jahr lang arbeiteten sie an einem einzigen Stück.

Von der Analyse zum Gefühl

Dieses Zerlegen, Durchdenken und Neu-zusammensetzen prägt heute sein Spiel. Die Tempi sind rasch, auch bei den stimmungsvollsten Episoden erlaubt er sich kein Auskosten, kein gefälliges Verweilen. Nicht aus Scheu vor Gefühlen, sondern aus der Überzeugung, dass nur durch Analyse und Abstraktion der Gefühlsgehalt bewahrt werden kann. So fordert er von seinem Publikum, genau hinzuhören. So fügt sich auch eine Schönberg-Fantasie, die allzu oft wie ein Fremdkörper wirkt, fast zwingend ins Programm. Und bei den Beethoven-Sonaten, ja selbst Brahms „Ungarischen Tänzen“, den Gassenhauern als Zugabe, meint der Konzertbesucher, er höre diese Stücke zum ersten Mal. Der Himmel hängt wohl kaum voller Geigen. Doch wenn heute nur eine einzige dort hängt: Vielleicht sollte es Znaiders Stradivari sein.

Karl Gaulhofer, Die Presse, Print-Ausgabe, 16.01.2008

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