Fidelio (Interview)

Wie Rachlin werden…

1948 in Kiew geboren, studierte Boris Kuschnir Violine am Moskauer Konservatorium bei Boris Belenkij und Kammermusik bei einem Mitglied des legendaren Borodin-Quartetts, bei Valentin Berlinskij. Er durfte Schostakowitsch und David Oistrach — letzteren auch als Lehrer — kennenlernen, gründete 1970 das Moskauer Streichquartett, kam 1979 nach Wien, wo er 1983 Konzertmeister des Linzer Bruckner-Orchesters und 1984 Lehrer am Konservatorium der Stadt Wien wurde. 1984 gründete er das Wiener Schubert-Trio, 1993 debütierte er mit dem Wiener Brahms Trio bei Gidon Kremers Kammermusikfestival in Lockenhaus.
Der Geiger Kuschnir — der auf einer Stradivari der Österreichischen Nationalbank spielen darf — darf auf die Anerkennung durch Yehudi Menuhin und Elisabeth Leonskaja, Juri Bashmet und Vladimir Ashkenazy zählen. Der Lehrer Kuschnir scheint das Geheimnis des großen Erfolgs unterrichten zu können: seine Schuler gewinnen die größten Wettbewerbe, nehmen Spitzenpositionen in österreichischen Orchestern ein. Anläßlich seines 50. Geburtstages sprach mit ihm Irene Suchy.

Fidelio: Sie sind einer der Lehrer, die auch ihre Solokarriere verfolgen. Gibt es manchmal Neid auf die Schüler?

Kuschnir: Es gibt für einen Geiger, einen Instrumentalisten, zwei Karrieren. Eine künstlerische und eine pädagogische. Für mich gibt es die Konzerte mit dem Brahms-Trio — übrigens mehr außerhalb Österreichs als hier — und die Lehrtätigkeit. Beides ist erfolgreich — ich bin zufrieden. Es ist mir wichtig, daß es auch in der Klasse keinen Neid und keine Eifersucht gibt.

Wie gestalten Sie das Leben in Ihrer Klasse — gibt es außerhalb des Unterrichts Gemeinsamkeiten?

Es gibt natürlich das Zusammensein nach den Klassenabenden, manchmal auch Geburtstagsfeiern.

Gibt es Auswahlspiele fur die Klassenabende?

Nein — es spielt jeder Schuler sein Stück, das er gerade studiert hat.

Sie reisen viel — mit dem Trio und mit Ihren Schülern.

Ja, ich habe Nikolaj Znaider zum Königin-Elisabeth-Wettbewerb mehrere Wochen lang begleitet, ich reise auch zu wichtigen Konzerten mit — jetzt war ich gerade mit Lidia Baich in Istanbul.

Unterrichten Sie auch Anfänger?

Ja, sehr gerne, aber derzeit nicht.

Es gibt Schuler, die müssen nochmals von vorne anfangen — obwohl sie schon große Auftritte hatten — Nikolaj Znaider zum Beispiel.

Ja, er hat gemerkt, daß er auf seine Weise nicht weiterkommt, und war bereit, unter meiner Leitung nochmals anzufangen. Es ging bei ihm sehr schnell, er war sehr konsequent, es dauerte nur ein Jahr.

Wie motiviert man einen Schüler, nochmals mit Bogenwechseln oder anderen elementaren Übungen zu beginnen?

Wenn er es will, geht es.

Wen lehnen Sie a/s Schuler ab?

Ich nehme Schuler, von denen ich glaube, daß ich ihnen helfen kann. Es gibt Geiger und Geigerinnen, denen ich nicht helfen kann. Für die bin ich nicht der Richtige. Ich unterrichte nur jemanden, für den ich glaube, der beste Lehrer zu sein. Auch jemand, der zu mir kommt und sagt, ich möchte eine Karriere wie Julian Rachlin machen, ist falsch bei mir — es kann nur jeder seine eigene Karriere machen.

Welchen Schulern empfehlen Sie, an einem Wettbewerb teilzunehmen?

Nur jenen, die mit einem Wettbewerbserfolg eine Karriere beginnen konnen. Jemand, der seine Karriere auch ohne Wettbewerbserfolg starten kann, dem wurde ein eventuelles schlechtes Abschneiden ja nur schaden.

Woran krankt die österreichische Instrumentalausbildung?

So weit ich das beurteilen kann, gibt es viele Talente, einige Spitzen — aber die Basis ist zu klein.

Woran liegt das?

Ich wurde sagen, unter anderem an der zu kurzen Unterrichtszeit. In Rußland wurde man lachen, wenn eine Schulerin nur 50 Minuten pro Woche Unterrichtszeit hotte. 50 Minuten — was soll man da lernen? Es mussen mindestens zwei Mal die Woche 50 Minuten sein! Wenn das nicht geändert wird, sind auch die jetzigen 50 Minuten umsonst.

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